Viele Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben in den zurückliegenden Jahren in China Vertriebsniederlassungen und Produktionsstätten eröffnet. Und das werden sie auch künftig tun, denn China ist der größte Wachstumsmarkt weltweit. Außerdem stellt das „Reich der Mitte“ oft das Tor für einen Export in andere asiatische Märkte dar. Bei ihrer Expansion in China kämpfen Unternehmen jedoch nicht nur mit dem Problem, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Noch schwerer fällt es ihnen, speziell höher qualifizierte Mitarbeiter an sich zu binden, Denn diese sind stark umworben und haben meist viele Optionen.

„Den Chinesen“ gibt es ebenso wenig wie „den Deutschen“. Trotzdem lassen sich bei chinesischen Arbeitnehmern große Mentalitäts- und Verhaltensunterschiede zu Arbeitnehmern im deutschsprachigen Raum konstatieren. So tendieren chinesische Angestellte zum Beispiel zu Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit dazu, sich zunächst zwei, drei Jahre bei einem renommierten Unternehmen zu verdingen, damit dieser „brand“ als Referenz in ihrem Lebenslauf steht – selbst wenn sie zum Beispiel finanziell attraktivere Jobangebote haben. Doch danach suchen sie eine Stelle, die ihnen ein höheres Gehalt und bessere Aufstiegschancen verspricht.

Geringe Loyalität zu Marken und Arbeitgebern

Chinesische Konsumenten haben eine geringe Marken-Treue. Sie wetteifern darum, der Erste zu sein, wenn es darum geht, neue Trends, Designs und Produkte zu testen. Und ihr Selbstwertgefühl hängt auch stark davon ab, ob sie sich Trendprodukte leisten und an Moden teilhaben können.

Diese innere Einstellung lässt sich auf ihre Beziehung zu (ausländischen) Arbeitgebern übertragen. Und sie erklärt, warum chinesische Mitarbeiter so oft ihre Stelle wechseln. Solange sie das Gefühl haben, sie könnten durch einen Arbeitsgeberwechsel ihren finanziellen oder sozialen Status verbessern, binden sie sich emotional nicht an ein Unternehmen. So wechseln chinesische Mitarbeiter zum Beispiel aus Status-Gründen von einem Top-500- zu einem Top-100-Unternehmen. Oder von einer sicheren Fachar-beiter-Stelle auf einen recht unsicheren Projektmanager-Posten. Häufig ist aber auch eine eher bescheidene Gehaltsverbesserung ausschlaggebend für einen Stellenwechsel. Für Arbeitgeber aus dem Westen ist es oft erstaunlich, welch simple Anreize genügen, um Chinesen zu einem Stellenwechsel zu bewegen.

Doch nicht nur finanzielle Motive und Statusgründe veranlassen Chinesen zu einem Jobwechsel. Sie wechseln oft auch den Arbeitgeber, wenn

  • sie wenig Aufstiegschancen sehen,
  • ihre berufliche Laufbahn nicht ihren Idealvorstellungen entspricht,
  • monotone Arbeitsabläufe und -inhalte sie demotivieren,
  • sie glauben, ihre direkten Kollegen seien nicht ausreichend qualifiziert,
  • sie ihrem Arbeitgeber oder Vorgesetzten misstrauen,
  • ihr unmittelbarer Vorgesetzter geht,
  • die Firma in einer finanziellen Krise oder Imagekrise steckt,
  • ein befristeter Arbeitsvertrag sie verunsichert.

Streben nach beruflichem und sozialem Aufstieg

Die chinesische Wirtschaft hat seit Maos Tod und seit Deng Xiaoping Parteivorsitzender wurde, also in den letzten 25 Jahren, einen phantastischen Aufschwung erlebt und zahlreiche Super-Reiche hervorgebracht. Das sehen und erleben die Chinesen insbesondere in den Wirtschaftsmetropolen tagtäglich. Deshalb sind – verallgemeinert formuliert – viele gut qualifizierte Chinesen heute latent unzufrieden mit ihrer finanziellen und sozialen Situation. Denn sie haben das Gefühl, am Wirtschaftsboom und gesellschaftlichen Aufschwung nicht ausreichend teilzuhaben. Also streben sie danach, ihre Perspektiven zu verbessern – finanziell und sozial. Deshalb genügen einfache und schnelle Lösungen in Form von Lohnerhöhungen und Boni allein meist nicht, um chinesische Mitarbeiter an Unternehmen zu binden.

Wichtig ist es ihnen, eine Entwicklungsperspektive aufzuzeigen – zum Beispiel durch Qualifizierungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen. Bei deren Konzeption gilt es jedoch einige Spezifika zu beachten – zum Beispiel:

  • die hohen Erwartungen und Ziele vieler gut qualifizierter Chinesen bezüglich des Verlaufs ihrer Karriere,
  • ihren Wissensdurst,
  • ihren großen Ehrgeiz, ihre Potenziale und Chancen voll auszuschöpfen – auch um in ihrem Umfeld das „Gesicht zu wahren“,
  • ihren Wunsch nach einer exponierten sozialen Stellung und
  • die hohe Bedeutung der persönlichen Beziehungen für das Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverhältnis (Guanxi=emotionale Verbindung und persönliche Beziehung).

Deshalb kann man Personalentwicklungs- und Mitarbeiterbindungssysteme aus Europa nicht 1:1 auf China übertragen. Sie müssen eine kulturspezifische Ausgestaltung erfahren. Elemente eines solchen lokal anschlussfähigen Personalentwicklungs- und Mitarbeiterbindungssystems sollten unter anderem sein:

Chinesische Mitarbeiter: Auf junge Talente setzen

Die meisten Berufstätigen über 40 in China sprechen schlecht Englisch. Das erschwert die Kommunikation und Zusammenarbeit mit ihnen (in multinationalen Teams). Deshalb bevorzugen ausländische Arbeitgeber beim Besetzen von Schlüsselpositionen meist jüngere Talente im Alter von maximal 30 Jahren. In China ist eine junge Belegschaft kein Nachteil. Denn die aufstrebenden Jungen sind sehr ehrgeizig, und ihr Lernwille ist stark ausgeprägt. Und bietet ihnen ein Arbeitgeber die gewünschten Perspektiven, dann binden sie sich auch emotional an ihn.

Entwicklung fördern – auch in Übersee

Eine systematische, aufstiegsorientierte Personalentwicklung – statt nur punktuelle, am akuten Bedarf orientierte Förderung – bildet oft die Basis, dass sich chinesische Mitarbeiter im Betrieb wohl fühlen und mit ihrer Tätigkeit zufrieden sind. Die Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen müssen jedoch anders konzipiert sein als in Europa. Denn junge Chinesen ohne Auslandserfahrung sind daran gewöhnt, Instruktionen zu erhalten. Eher schwer fällt es ihnen, Problemlösungen eigenständig oder in Arbeitsgruppen zu erarbeiten. Also besondere Auszeichnung erleben sie die Teilnahme an Förder- und Entwicklungsmaßnahmen in Übersee, also zum Beispiel in Europa. Denn hierin wird oft das Sprungbrett für eine internationale Karriere beziehungsweise die Eintrittskarte für eine gehobene Managementfunktion gesehen.

Fördern Unternehmen Mitarbeiter auf diese Weise, entsteht meist eine enge Bindung an die Organisation. Denn Konfuzius’ Philosophie, Gefälligkeiten stets zu erwidern, („zhi en tu bao“ auf Chinesisch) wird in China seit Jahrtausenden gelebt und ist ein integraler Bestandteil der Kultur. Deshalb sind Chinesen in der Regel auch loyal zu ihrem Arbeitgeber, wenn sie spüren, dass dieser sich ernsthaft darum bemüht, sie beruflich zu fördern und zu entwickeln.

Realistische Perspektiven aufzeigen

Ein Hauptgrund, warum ehrgeizige, junge Talente ihren Arbeitsplatz wechseln, ist das Gefühl, ihre Karriere schreite zu langsam voran. Chinesen erwarten speziell von ausländischen Arbeitgebern eine qualifizierte Einarbeitung und Ausbildung. Denn ausländische Firmen haben den Ruf, ihre Arbeitnehmer stärker zu fördern und schneller zu befördern als chinesische Betriebe. Und dies ist für junge Chinesen oft ein zentrales Motiv, sich für einen ausländischen Arbeitgeber zu entscheiden. Diese Erwartung gilt es zu erfüllen. Denn wenn Arbeitnehmer das Gefühl haben, dass ihnen ein Unternehmen nicht die erhofften Aufstiegsmöglichkeiten bietet, suchen sie sich schnell einen neuen Arbeitgeber.

Deshalb ist es wichtig, schon bei der Personalauswahl die Erwartungen der Kandidaten auf ein realistisches Level zurückzuschrauben. Sonst steht die Zusammenarbeit von Anfang an auf einem wackeligen Fundament. Unternehmen sollten zudem Mitarbeitern mit einem hohen Entwicklungspotenzial das Gefühl vermitteln, an etwas Großem, Bedeutenden mitzuwirken. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass Unternehmen junge, berufliche noch recht unerfahrene Mitarbeiter bewusst in Großprojekte integrieren, die in deren Augen eine hohe Bedeutung haben, weshalb sie in der Projektteilnahme eine Chance sehen.

Ein „Guanxi“-Beziehungsmanagement betreiben

„Guanxi“ ist ein Schlüsselbegriff nicht nur zum Verstehen der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch des Verhaltens chinesischer Mitarbeiter. Der Begriff besagt, dass Entscheidungen zumeist von einem Netzwerk persönlicher Beziehungen mitbeeinflusst werden, die zwischen Menschen gewachsen sind – zum Beispiel, weil sie im selben Ort wohnten oder dieselbe Hochschule besuchten oder für dasselbe Unternehmen tätig waren (oder sind). Aufrechterhalten beziehungsweise stabilisiert werden diese Beziehungen durch wechselseitige Gefälligkeiten. Und diese Gefälligkeiten auf Gegenseitigkeitsbasis zu verweigern, wird als eine unverzeihliche Beleidigung erfahren.

Das gilt es auch beim Thema Mitarbeiterbindung zu beachten. Chinesen erwarten von ihrem Arbeitgeber, dass er zu ihnen dieselbe emotionale Bindung eingeht, wie sie zu ihm. Das heißt zum Beispiel, wenn sie sich für ihren Arbeitgeber stark engagieren, erwarten sie ein entsprechendes Engagement von ihm. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich diese Erwartung vor allem auf die Beziehung zu ihren unmittelbaren Vorgesetzten bezieht. Denn anders als bei Europäern, die häufig einem Arbeitgeber wegen dessen Firmenkultur oder ihrem Aufgabengebiet treu bleiben, macht sich die Loyalität chinesischer Mitarbeiter meist stark an ihrer persönlichen Beziehung zu ihren Vorgesetzten fest. Deshalb passiert es auch nicht selten, dass mit einem Gruppenleiter dessen gesamtes Team das Unternehmen wechselt.

Auf die Beziehungsbalance achten

Chinesen messen ihren beruflichen Erfolg stark an dem „Guanxi“-System, in das sie eingebunden sind. Deshalb sollten Unternehmen, wenn sie einen Angestellten befördern möchten, darauf achten: Welche Auswirkungen hat dies auf seine Kollegen in seinem beruflichen Umfeld?

Hierfür ein Beispiel. Angenommen ein Unternehmen befördert ein Teammitglied, während andere Teammitglieder, die ähnlich lange für das Unternehmen arbeiten und einen vergleichbaren Beitrag zu dessen Erfolg leisteten, nicht befördert werden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Letztere den Arbeitgeber wechseln. Denn für Chinesen stellt es einen Prestigeverlust dar, nicht befördert zu werden, wenn ein Kollege aufsteigt. Denn hierunter leidet im „Guanxi“-System ihr gesellschaftlicher Rang.

Deshalb sollten Unternehmen bei Beförderungen darauf achten, dass die Balance im Beziehungssystem gewahrt bleibt – zum Beispiel indem sie alle Teammitglieder zugleich befördern. Hierfür müssen nicht immer Stellen neu geschaffen oder besetzt werden. Oft genügt es, den Netzwerk-Partnern neue, deren Inhaber aufwertende chinesische Job-Bezeichnungen zu verleihen – während die gebräuchlichen englischen Titel beibehalten werden. Das stellt häufig die Balance wieder her, sofern sich mit dem neuen chinesischen Titel der gesellschaftliche Status der betreffenden Person erhöht.

Über die Autorin

Sabine Machwürth ist geschäftsführende Gesellschafterin der international agierenden Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy)